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02.11.2023

Im Herzen Europäer

Interview mit Andreas Schwab

Von Anne Nickert

Herr Dr. Schwab, 2019 sind Sie – ebenso wie 2004, 2009 und 2014 – ins EU-Parlament gewählt worden: Was ist aus Ihrer Sicht das Wichtigste, was die EVP-Fraktion, der auch Sie angehören, in der aktuellen Legislaturperiode erreicht hat?

Diese Legislaturperiode hat historische Meilensteine gesetzt und die EVP hat intensiv dazu beigetragen. Während der COVID-Pandemie haben wir Europas Handlungsfähigkeit bewahrt und die Bürgerinnen und Bürger unter Wahrung der Grundrechte bestmöglich geschützt. Das Gesetz über digitale Märkte konnte ich als zuständiger Berichterstatter erfolgreich nach EVP-Vorstellungen ausgestalten und die Grundlagen für eine Soziale Marktwirtschaft im digitalen Raum schaffen. Marktdominierende Unternehmen wie Google, Amazon und Facebook dürfen ihre Marktmacht dadurch nicht mehr missbrauchen, sondern müssen sich dem fairen Wettbewerb im digitalen Raum stellen.

Hand aufs Herz, was hätte besser laufen können? Wo hätten Sie gerne größere Fortschritte gemacht?

Da gibt es zwei Dinge. Einmal der Green Deal: Hier hatten leider die Hardliner das Zepter in der Hand gehabt, anstatt den gesunden Menschenverstand zu nutzen. Zum anderen: Seit ich Mitglied des Europäischen Parlamentes geworden bin, sind die Beziehungen zu unseren Schweizer Nachbarn eine Herzensangelegenheit. 2019 habe ich mich daher erfolgreich um den Vorsitz der Delegation des Europäischen Parlaments zur Schweiz und den EWR-Ländern beworben. Damit wollte ich meinen Beitrag für das geplante EU-Schweiz Rahmenabkommen leisten. Dass die Schweiz 2021 jedoch einseitig die Verhandlungen abgebrochen hat, war ein herber Rückschlag. Wir blicken seitdem aber konstruktiv und pragmatisch nach vorne und arbeiten an Alternativen für ein umfassendes Abkommen mit der Schweiz.

Ein zentrales Thema für den deutschen Mittelstand, auch bei uns hier in Südbaden und in der Ortenau, ist die überbordende Bürokratie. Unternehmen fühlen sich zunehmend überfordert mit den unzähligen Aufgaben, die sie zusätzlich, neben ihrem eigentlichen Job, erledigen müssen – nehmen wir beispielsweise das Lieferkettensorgfaltspflichten-gesetz,das Hinweisgeberschutzgesetz oder auch die DSGVO. Vieles davon ist nicht in Deutschland „hausgemacht“, sondern ist auf die Umsetzung von EU-Richtlinien zurückzuführen. Auf gut Deutsch: Den Unternehmen reicht es. Gibt es hier Licht am Ende des Tunnels?

Ich kann die Unternehmen sehr gut verstehen. Die zunehmenden Anforderungen steigern nicht nur die Verwaltungskosten vieler mittelständischer Unternehmen, sondern hemmen auch ihre Wettbewerbsfähigkeit. Denn wir brauchen auch in Zukunft eine starke Wirtschaft und das geht nur mit Unternehmen, die sich auf ihre Kernkompetenzen konzentrieren.
Als EVP fordern wir daher seit längerem ein Moratorium für Bürokratie und die strikte Umsetzung des „one-in-one-out“-Prinzips: für jede neue Auflage muss eine alte Auflage entfallen. Zumindest spät hat auch die EU-Kommission unter Ursula von der Leyen die Situation erkannt und arbeitet derzeit Vorschläge für die Abschaffung von 25% der Berichtspflichten für Firmen aus, die sie zeitnah vorstellen wird.

Im Juni nächsten Jahres steht die Europawahl an: Was sind die großen Aufgaben für die EVP-Fraktion für die kommende Legislaturperiode?

Die Europäische Union steht in der kommenden Legislaturperiode vor großen Herausforderungen, die nicht alle nach dem Wahltag 2024 absehbar sein werden. Es gilt daher, bestmögliche Grundlagen für Sicherheit, Wohlstand und Klimaschutz zu legen. Das können wir jedoch nur im Interessensausgleich mit den Bürgerinnen und Bürgern erreichen. Radikale Reformen und einfache Lösungen werden da nicht helfen. Als CDU sollten wir aber die Themen Wettbewerbsfähigkeit, Stärkung des europäischen Binnenmarktes, eine europäische Sicherheitsarchitektur sowie eine stärkere Selbstverwaltung der Kommunen, Wirtschaft und Wissenschaft noch stärker ins Zentrum unserer Politik rücken.

Und für das EU-Parlament in toto?

Das Europäische Parlament muss seine Handlungsfähigkeit wiedergewinnen. Der grassierende Populismus in der EU stellt die tägliche Arbeit im Europäischen Parlament vor große Herausforderungen. Mit jenen, die sich nicht zu europäischen Grundwerten bekennen und die europäischen Institutionen abschaffen wollen, lässt sich nicht zusammenarbeiten. Und bei anderen Parteien geht nur noch um Sofortismus – das überfordert viele Bürger! Parteien der demokratischen Mitte werden daher Kräfte bündeln müssen, um als Europäisches Parlament wieder seiner kontrollierenden Funktionen gegenüber der EU-Kommission gerecht zu werden.

Bei der Europawahl dürfen Jugendliche in Deutschland erstmals bereits ab 16 Jahren wählen gehen: Wie können wir Jugendliche davon begeistern, mitzumachen und sich einzubringen – für die Demokratie und für den europäischen Gedanken?

Erfolge der Europäischen Union können Jugendliche und junge Menschen bereits heute spüren. Sie wachsen in Frieden und Wohlstand auf, können ihren Studien- oder Arbeitsort im europäischen Ausland frei wählen, profitieren von uneingeschränkter Reisefreiheit, europaweitem mobilen Surfen ohne Roaming-Gebühren und einem Erasmus-geförderten Auslandsaufenthalt. Vieles von dem ist heute allerdings selbstverständlich!

Um heutzutage Jugendliche einzubinden, braucht es jedoch mehr als das. Ich halte die nachwachsende Generation für politisch sehr engagiert, jedoch zu ausgewählten Themen. Wir müssen daher mit Jugendlichen anders kommunizieren, als mit anderen Wählergruppen. Sie erwarten ganz klare Botschaften und Ziele, für die sie dann auch bereit sind, sich mit großem Enthusiasmus zu engagieren. Diese Kernbotschaften für die nächste Legislaturperiode wird die CDU in den kommenden Monaten ausformulieren.

Sie stehen erneut zur Wiederwahl bei der Europawahl 2024. Das wäre dann bereits Ihre fünfte Amtsperiode: Was treibt Sie an?

Meine Heimat und die Menschen in meinem Wahlkreis. Ich mache Politik, um mich für die Bürgerinnen und Bürger und unsere Region Südbaden einzusetzen. Unsere Grenzregion profitiert von Europa und vom europäischen Binnenmarkt wie kaum eine andere. Der Vollendung des Binnenmarktes fühle ich mich auch über 2024 hinaus verpflichtet. Es ist mir daher eine große Ehre, wenn ich an diesem Ziel auch nach der kommenden Europawahl weiterarbeiten darf.



Das Interview führte Anne Nickert.